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Köln Kalk for beginners
Elisabeth Lorscheid – eine Frau,
die einfach anpackt, wo Not ist.
In Köln Kalk war ich noch nie. Anscheinend ist es keine Gegend, in die man als Autorin häufiger kommt. Es ist kalt, es ist nass, es ist mitten im Dezember und so richtig verlockend wirkt der Stadtteil nicht auf mich. So eine richtige arme Leute Gegend eben, denk ich, als ich aus der U-Bahn aussteige und tröste mich: ist ja nur das Vorgespräch, dauert bestimmt nicht lange. So richtig Lust habe ich nicht: es sieht hier alles so schäbig aus, wer weiß, was mich erwartet. Nachher krieg ich noch Ärger. Und ganz automatisch suche ich die Straße ab nach Jugendlichen, die sich an Ecken so rum drücken. Und tatsächlich, da sind sie auch schon, mittags um 12 Uhr. Ich muss nach dem Weg fragen und erlebe die erste Überraschung an diesem Tag: Der ältere Mann, den ich frage, begnügt sich nicht damit mir eine Beschreibung zu geben: „Nein“, sagt er „ ich bringe Sie am besten hin.“ Und genau das macht er, formvollendet höflich. Auf dem Weg erfahre ich von seinem Leben, das in Bosnien begann und ihn in Köln Kalk stranden ließ.
In dem Laden, den Elisabeth Lorscheid mittlerweile für ihren Kindermittagstisch mieten konnte, wartet sie schon. Sie hat einen Kaffee gemacht. Wir wollen uns ein bisschen kennen lernen. Für meinen Film ist es wichtig, möglichst viele Einzelheiten zu erfahren. Zunächst einmal Elisabth Lorscheids Tagesablauf festzuhalten.
„Also, nach dem ich meine beiden Jungs für die Schule fertig gemacht habe, komme ich hierher und dann geht es auch sofort los. Zusammen mit meiner Freundin holen wir ab acht Uhr mit dem Fahrradanhänger und per Straßenbahn beziehungsweise U-Bahn die ersten Lebensmittel ab, dafür müssen wir einmal quer durch die Stadt.“ „Was“, frage ich ungläubig, „per U-Bahn?“ „Ja, um acht Uhr machen wir die erste Tour, dann um zehn die zweite. Dann, wenn wir alles zusammen geholt haben, wird gekocht. Dann kommen über drei bis vier Stunden verteilt die Kinder, tja und dann müssen wir natürlich noch aufräumen und putzen. Zuhause mache ich dann die Buchführung.“
„Wann sind Sie denn fertig, frage ich? „ Also, so nachmittags, vielleicht um halb fünf. Den ganzen Tag zu begleiten, erkläre ich, geht gar nicht, solange Drehzeiten haben wir nicht. Elisabeth Lorscheid lacht: Unsere Drehzeiten geben also nicht her, was sie jeden Tag leistet. Lustig!!
Als ich gehen will, sagt sie: „Ich bringe Sie zum Bus, Sie müssen doch nicht alleine laufen. Zusammen geht es sich doch besser.“ Von zusammen gehen, kann keine Rede sein. Ich bin viel zu lahm für eine Frau wie Elisabeth Lorscheid. Also renne ich ihr mehr oder weniger ihr hinterher.
Bleiben zehn Türen zu, geht die elfte auf
Bis zu 12 Stunden am Tag arbeitet sie,
damit Kinder etwas zu essen bekommen.
Anderthalb Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal von Elisabeth Lorscheid gehört habe. Eine kleine Meldung in der Zeitung: Köln Kalker Kinder Mittagstisch gegründet. Die Idee hatte sie, als ihre beiden Söhne, die die Realschule und das Gymnasium besuchen, immer mehr Kinder mittags mit nach Hause brachten: „Die brachten natürlich Freunde mit, zehn Mann da, kriegen zehn Mann essen. Irgendwann waren die Jungs gar nicht mehr die Freunde meiner Kinder, die kamen aber immer noch zum Essen. Irgendwann habe ich mal nachgefragt: Du bist doch gar nicht mehr mit dem befreundet, was machst du eigentlich hier. Und da sagte der Junge: Ich kenne das so nicht. Wenn der Monat zu Ende geht, dann krieg ich nur noch Toastbrot. Das muss dann reichen für den ganzen Tag. Ich habe dem Jungen zuerst nicht geglaubt und deshalb den Vater angesprochen. Der hat gesagt: Ja, ab dem zwanzigsten muss es erst mal für mich zum Rauchen und zum Trinken reichen.“
Ihr fiel dazu zunächst einmal gar nichts ein. Und dann immer mehr. „Seit diesem Tag bin ich ganz anders durchs Viertel gelaufen, habe hier alles mit anderen Augen gesehen und immer mehr Kinder sind mir aufgefallen, die mir verwahrlost erschienen.“
Elisabeth Lorscheid lebt nicht freiwillig in Köln Kalk. Jahrelang hatte sie verzweifelt Arbeit gesucht und keine gefunden. Als sie die Miete nicht mehr bezahlen konnte und Obdachlosigkeit drohte, strandete sie hier im sozialen Brennpunkt.
„Mich wollte ja keiner. Ich war ja allein erziehende Mutter, was soll man dann mit der. Die ist alt, über 40, die hat Kinder, und wenn die mal krank sind, wat is dann. Aber ich denk mal, jeder der mich nicht genommen hat, der sieht jetzt, was für eine tolle Arbeitskraft er verloren hat.“
Nicht immer nur reden, einfach machen
Jammern ist nicht so ihr Ding, also machte sie das Beste aus der Situation, kümmerte sich um ihre Söhne, die ihr ganzer Stolz sind. Deshalb fiel ihr auch so sehr auf, dass viele Kinder in Köln Kalk auf sich selbst gestellt sind und damit natürlich hoffnungslos überfordert. Welcher achtjährige Junge kann schon seinen Tag alleine strukturieren? Natürlich kann das kein Kind, war Elisabeth Lorscheid sofort klar. Und noch etwas anderes war ihr so sofort klar: Reden bringt gar nichts, anpacken bringt´s.
Was dann folgte ist so etwas Ähnliches wie der Feldzug der Elisabeth Lorscheid. Sie schaffte es nicht nur Unterstützer und Förderer zu finden, ihr gelang es auch, dass Arbeitsamt letztlich umzustimmen. War ihr zunächst aufgrund ihres Engagements das Arbeitslosengeld gestrichen worden, bekommt sie mittlerweile für ihre Tätigkeit ein kleines Gehalt, das zum Teil von Förderern, zum Teil vom Arbeitsamt gezahlt wird. Sie fand einen Laden und Frauen, die ihr helfen. „Ich sag immer, wenn zehn Türen zu bleiben, geht die elfte auf.“
Improvisation ist alles
Essen für 160 Kinder organisiert sie
mit dem alten Fahrradanhänger.
Am Drehtag selbst, läuft zum Teil alles wie geplant, zum Teil ganz anders. Der Fahrradporsche, mit dem Elisabth Lorscheid die Lebensmittel abholt, bekommt einen Platten. Wir müssen tragen helfen, dadurch kommen wir zu spät und die ersten Kinder warten schon auf ihr Essen. Dass Essen hat in der Zwischenzeit schon einen der Mitstreiterinnen gekocht, so dass es sofort ausgeteilt werden kann als wir endlich da sind.
Kinderhunger in Deutschland - das ist so etwas, was ich mir selbst bis zu diesem Moment nicht vorstellen kann. Aber dann erlebe ich, was das ist: Die Kinder essen, viele packen sich auch was für später ein. Kaum ist diese Art des Hungers gestillt, ist ein anderer da: Uns werden Löcher in den Bauch gefragt. Wer wir sind, was wir wollen, warum wir das aufnehmen, ob sie auch Kameramann werden können, wie die Tonausrüstung funktioniert. Wir versuchen alle Fragen zu beantworten, haben aber auch das Gefühl: Seelisch sind diese Kinder so hungrig, es würde Monate, vielleicht Jahre dauern, diese Art des Hungers zu stillen. Es ist Hunger nach Aufmerksamkeit, nach Wissen, aber auch nach Entlastung, nach Erwachsenen, die für sie da sind, die einen Plan haben. Die ihnen die Sorgen abnehmen. Wo gibt es denn das, Achtjährige, die sich Sorgen machen, was denn aus ihnen mal werden soll. Beim Köln Kalker Kindermittagstisch gibt es solche Kinder.
Elisabeth Lorscheid ist die ganze Zeit einfach da. Für die Kinder, für ihre Mitstreiterinnen, für uns. Dann ist Drehschluss. Als ich gehe bin ich tief beeindruckt von ihr, einem Menschen mit echter Herzensbildung. Und ich frage mich, warum ich nicht öfter in Köln Kalk bin!
Autorin: Heinke Schröder
Donnerstag, 16. Dezember 2010
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